Der Himmel zwischen den Baumkronen ist ungewöhnlich hell, dafür, dass es mitten in der Nacht ist. Wahrscheinlich haben sich meine Augen auch einfach an die Dunkelheit gewöhnt. Ein aufregendes Gefühl draußen zu schlafen. Rechts neben mir raschelt in etwas Entfernung das Laub am Waldboden. Den Geräuschen und der Leichtigkeit der Schritte nach vermutlich ein Fuchs. „Was mache ich, wenn er herkommt und…?“ Ja, was eigentlich? Was soll er denn machen? Genau wie ich, wird auch er denken, was denn da so komisch in einem Schlafsack raschelt. Und im Gegensatz zu mir wird er sich noch denken „Puh, was stinkt denn da so nach Mensch? Da geh‘ ich mal lieber nicht hin!“ Ich drehe mich um und schlafe langsam wieder ein.
Jede Nacht beginnt mit dem Tag
Nachdem uns der Weg am Nachmittag durch steile, steinige Pfade mit einem grandiosen Ausblick über einen Steinbruch belohnt hat, genossen wir die Aussicht auf einer provisorischen Bank am Rand der Steinbruchkante. In einiger Entfernung unter uns erkannte man Straßen, Dörfer, Städte, Felder und Wiesen. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen und wie aus einem Miniaturland zu sein. Mit dem räumlichen Abstand erwächst ganz automatisch auch eine emotionale Distanz. Wer wandert und nur begrenzt Platz im Rucksack hat, lässt automatisch alles andere zu Hause. Egal ob es materieller oder mentaler Ballast ist.
Der Himmel ist inzwischen wieder aufgeklart und vom angekündigten Unwetter keine Spur mehr zu sehen. Am Berghang hinter uns hängen noch vereinzelt dunkle Wolken, die aber rasch vom Wind davongetragen werden. Die Sonne scheint uns direkt ins Gesicht, ich hebe meine Hand, messe den Abstand zum Horizont und sage „Wir haben noch gut eineinhalb Stunden Tageslicht. Sollen wir langsam wieder aufbrechen?“
Die Frage ist nur wohin! Ein vorher bekanntes Ziel gibt es nicht, einen definierten Schlafplatz haben wir nicht auserkoren. Wir gehen langsam die Rückseite des Berges hinunter, immer tiefer in den Wald. Forststraßen, Waldwege und Rückegassen führen uns ohne wirklich bewusste Entscheidungen in verschlungenen Pfaden von einer traumhaften Aussicht zur nächsten.
Die Suche nach dem Schlafplatz
Im Dämmerlicht entdecken wir ein Hügelkuppe, die mit ihrer Lichtung auf den ersten Blick als hervorragendes Nachtlager erscheint. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass genau dort, wo wir unser Nachtlager hätten aufschlagen wollen, ein Wildwechsel liegt. Wer also einerseits die Tiere nicht stören und andererseits vermeiden möchte, in der Nacht von einer Horde Wildschweine unsanft geweckt zu werden, sollte um draußen zu schlafen nach einer anderen Stelle Ausschau halten.
Einige Minuten später führt uns ein etwas versteckter Wanderweg durch dichtes Gestrüpp und neben uns erhebt sich eine Böschung, an deren Scheitel unser Schlafplatz für diese Nacht liegen soll. Etwas versteckt, keine Spur eines Wildwechsels, keine Losung und einigermaßen ebener Waldboden. Nachdem wir unser Essen zubereitet hatten und gerade dabei waren das verdiente Abendessen zu verspeisen schimmerten in einiger Entfernung Lampen durch den Wald. Inzwischen war die Sonne untergegangen und nur der helle Himmel und unsere Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gaben uns Orientierung. Wenige Meter unter uns auf dem verwachsenen Pfad fuhr bald also eine Gruppe Mountainbiker durch den nächtlichen Wald. Ich dachte mir „Wenn die wüssten, dass einen Steinwurf neben ihnen eine handvoll Leute im Wald liegen.“ Eine absurde Vorstellung.
Tatsächlich draußen schlafen
Nachdem wir unsere Spuren vom Abendessen wieder beseitigt hatten und die Isomatten und Schlafsäcke ausgebreitet waren, gingen wir langsam ins Bett. Schlafsack und Isomatte unter freiem Himmel, neben mir mein Rucksack. Alles was man zum Leben braucht in 38 Litern. Natürlich ein wenig pathetisch und der Ausflug war auch keine wochenlange Tour durch die Einsamkeit Alaskas, aber wenn man es herunterbricht reicht es, um sich zu erden. Und wie könnte man das besser machen, als so wenig Abstand wie möglich zwischen sich selbst und der Erde zu bringen? Dafür reicht schon eine kleine Wanderung und eine Nacht im Wald unter freiem Himmel.
Ich will es überhaupt nicht romantisch verklären: Die erste Nacht im Wald nach langer Zeit der Sicherheit des eigenen Betts ist wenig erholsam! Überall raschelt und knackt es, unbekannte Geräusch halten das Unterbewusstsein wach. Und wenn man doch mal eingeschlafen ist, kommt doch wieder ein Geräusch oder die Blase meldet sich.
Aber mit der Zeit lernt der Geist, dass im Wald nichts böses lauert. Zumindest nicht in unseren Breiten. Die Tiere machen naturgemäß einen weiten Bogen um einen und wenn man ein wenig die Augen bei der Wahl des Schlafplatz offen hält und nicht gerade mitten auf einem Wildwechsel (der Autobahn im Wald) liegt, gibt es keinen Grund beunruhigt zu sein. Irgendwann wird aus dem unruhigen Leichtschlaf die erholsamste Ruhe, die die Natur zu bieten hat.
Egal wie erholsam oder unruhig die Nacht war, hat man sich einen schönen Platz ausgesucht und spielt das Wetter mit, wird man von der Natur mit dem schönsten und authentischsten Sonnenaufgang belohnt, den es gibt. Die Zeit steht still, es gibt nichts was in diesem Moment wichtig ist. Nur frische Luft, ein Gefühl von Schlaftrunkenheit und rot-goldener Schimmer der durch die Bäume bricht. Ich möchte öfter draußen schlafen.
Eine Erfahrung, die auch unsere neue Wölflingsgruppe mit der Zeit machen wird.
Schlafsack und Isomatte sind dann schnell wieder aufgeräumt und in wenigen Minuten waren wir bereit den Heimweg anzutreten. Ein paar Handgriffe und unser Schlafplatz sah wieder so aus, als ob hier seit Monaten kein Mensch auch nur durchgegangen war. Und darauf kommt es an: Wenn man sich vorsichtig und rücksichtsvoll verhält, wird man von der Natur mit wundervollen Erfahrungen und manchmal einem grandiosen Ausblick belohnt. Man sollte sich aber auch wie ein Gast verhalten. Den mehr ist man in dieser Situation nicht.