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Online, aber nicht allein

5. Dezember 2020

Gerade starten wir mit einer neuen Wölflingsgruppe und nach nur drei Gruppenstunden sitzen alle wieder daheim – im Lockdown Light.
Das Gebot der Stunde lautet Social Distancing. Dabei wäre Physical Distancing ein viel passenderer Begriff. Denn es kommt auf die räumliche Distanz an, um unsere Mitmenschen während der Pandemie zu schützen. Das meiste unseres Lebens findet deshalb derzeit online statt. Dabei dürfen wir aber das Soziale, das Menschliche nicht außer Acht lassen.

Normalerweise treffen wir uns wöchentlich, ratschen, gestalten Projekte, sind draußen im Wald und spielen zusammen. Die Sommermonate sind geprägt von Aktionen, Lagern und gemeinsamen Lagerfeuerrunden. Gerade heißt die Devise allerdings „Raus aus dem Wald, rein ins Internet“. Die Umstellung ist ein Trostpflaster, das aber neue Möglichkeiten zur Gestaltung eröffnet. Die ursprüngliche Interaktion in den wöchentlichen Treffen kann man so leider nicht ersetzen. Doch davon lassen wir uns die Gruppenstunden nicht vermiesen. Wir sind da, wir haben Bock!

Mit der Webcam in die Gruppenstunde

Kopfhörer auf, Mikro an. Geraschel im Hintergrund, Teller klappern, eine Katze läuft über die Tastatur. So beginnen aktuell viele unserer Gruppenstunden.

Unsere Arbeit als Gruppenleiter:innen wird durch die Kontaktbeschränkungen enorm erschwert. Denn für das Zusammenleben und die Dynamiken einer Gruppengemeinschaft braucht es zwangsläufig die Erfahrung, die Regungen des Gegenübers wahrzunehmen und zu bewerten. Die überwiegende Mehrheit der menschlichen Kommunikation findet eben nicht über Sprache statt, sondern nonverbal über Mimik, Gestik und Körperhaltung.

Wenn jede:r für sich zu Hause vor dem Bildschirm sitzt, leidet die Spontanität. Es fehlt das Geplänkel nebenbei, sich gegenseitig unauffällig anzugrinsen, die unvermeidliche und herzliche Situationskomik und die damit einhergehenden Lachanfälle. Durch eine Videokonferenz kann so etwas nur eingeschränkt entstehen.
Das macht es besonders für Kinder sehr schwer sich zu erfahren und die Interaktion mit anderen zu erlernen. Gerade diesen Platz zur Entfaltung bieten wir als Pfadfinder:innen unseren Gruppenkindern. Wir begleiten sie auf ihrem Weg selbst Verantwortung zu übernehmen und ermutigen sie zur Eigenständigkeit. Eigentlich, denn die Möglichkeit dafür ist gerade nur virtuell und der Erfahrungsraum damit erheblich geschrumpft. Stattdessen versuchen wir online zusammen Neues auszuprobieren und die Gemeinschaft virtuell zu erleben.

Voneinander lernen

Die geforderte Umstellung ist weder für uns Leiter:innen noch unsere Kinder und Jugendlichen leicht. Die Werkzeuge wie Videokonferenzen, Chat, Cloud-Dienste und digitale Zusammenarbeit sind uns allen bekannt. Im Stamm organisieren und planen wir seit Langem gemeinsam online. Auch unsere Kinder und Jugendlichen zählen natürlich zu den Digital Natives. Die Generation, die von klein auf mit dem Internet aufgewachsen ist und sich darin meist gewandter fortbewegt als ihre Eltern.

Aber auch unsere doch so technikaffinen Jugendlichen leiden darunter, dass Interaktion nur noch online stattfindet. Sie sehnen sich nach ihren Freundinnen und Freunden, danach zu toben, unbeschwert miteinander zu spielen und zu lachen. Es ist auch für sie keine leichte Zeit.

Unser Leitungsteam der Pfadfinderstufe ist auch weitgehend mit der Digitalisierung groß geworden. Stellenweise sind wir aber von unseren Gruppenmitgliedern mit ihren etwa 15 Jahren schon weit überholt worden. So wie unsere Generation den Eltern ihre Handys und Internetverbindungen einrichtet, so lernen wir gerade von den Jugendlichen neue Spiele, dass man vorher manchmal Launcher installieren muss und wie man mit den Spielavataren gerade ausläuft, statt mit Vollgas gegen eine Wand. Die Rollen sind vertauscht und mit Stolz können wir sagen, dass wir uns gern belehren lassen. Unsere einstigen Gruppenkinder sind junge Heranwachsende, die sich selbst organisieren, neue Vorschläge bringen und dadurch zunehmend Verantwortung übernehmen.

Für sie war es kein Problem, die wöchentlichen Gruppenstunden in den digitalen Raum zu verlagern. Zumindest technisch.
Zack ist mir nichts dir nichts ein Discordserver für den Trupp eingerichtet. Dort halten wir seit Wochen per Videokonferenz unsere Gruppenstunden ab. Wir spielen zusammen, lachen, blödeln und planen. Und trotz der vermeintlichen Unverbindlichkeit des Internets sind die Treffen gut besucht, kaum jemand fehlt. Hier ist eindeutig der Vorteil, dass man auch mit einer Verletzung leicht mitmachen kann. Oder auch, wenn man das Wochenende über eigentlich gerade nicht in Wenzenbach ist.

Digitales Lagerfeuer

Vieles ist im Wandel. In der digitalen Welt verschwimmen die Grenzen und die Gruppendynamik verändert sich. Es entstehen neue Insiderwitze, manch einer entdeckt sein verborgenes Talent für das Taktieren im Spiel. Es erstaunt uns selbst, aber wir verbringen mit diesem Konzept jetzt mehr Zeit zusammen als vorher mit den 90-minütigen Gruppenstunden. Wir sind weniger an fixe Termine gebunden und so kommt es vor, dass wir stattdessen bis tief in die Nacht zusammensitzen. Wer genug vom Bildschirm hat, kann sich jederzeit ausklinken, wem der Sinn noch nach Gesellschaft steht, bleibt online.

Vielleicht kommen für ein, zwei Runden Freunde und Freundesfreunde dazu, tauchen in unsere Gruppe ein, bereichern uns und verschwinden dann wieder. Leute, die wir so nie kennengelernt hätten. Es ist ein surreales Erlebnis. Ein digitales Lagerfeuer an dem man sich wie im klassischen Pfadfinderlager abends trifft. Vielleicht spielt jemand Gitarre, Leute kommen von vielen Seiten, setzen sich dazu, trinken etwas, erzählen Geschichten und ziehen dann weiter.

Gemeinsam gestalten

Auch wenn es manchmal so scheint, sind wir aktuell doch nicht alleine. Letztes Wochenende konnten Leiter:innen aus unserem Stamm an einer Schulung der Jugendstellen Kelheim und Cham teilnehmen, um neue Ideen zu erhalten, wie unsere Jugendarbeit mit den derzeitigen Hürden gelingen kann. Der Austausch mit anderen in derselben Situation ist hilfreich und ermutigend zugleich. Und so konnten wir einige Inspirationen finden. Beispielsweise gibt es eine App, über die eine Schnitzeljagd angelegt werden kann und die dann von den jungen Pfadfinder:innen alleine oder in Kleinstgruppen absolviert wird. In einer Onlinegruppenstunde können die Kinder ihre Erfahrungen teilen und sich so doch ein kleines Stück verbunden fühlen.

Regelmäßige Treffen per Internet kommen für unsere jüngsten aber eher weniger infrage. Für sie ist der Verlust der Möglichkeiten durch die Verlagerung aufs Digitale am größten.
Statt auf dem wöchentlichen Rhythmus der Gruppenstunden zu bestehen, hat sich das Leitungsteam für die Wölflingsstufe ein Konzept ausgedacht, dass die Kinder punktuell und zeitunabhängig an ihre neu gewonnene Gemeinschaft erinnert. Bastelanleitungen, Bildersammlungen, eine Schnitzeljagd. So soll ihnen die Zeit, bis sie wieder zusammen die Welt entdecken können, erleichtert werden.

Uns allen fehlt der Rauchgeruch in den Klamotten, das Lagerfeuer, Bratwürstel, Gitarre spielen und singen, das gemeinschaftliche Toben und die menschliche Begegnung. Die Einschränkungen lassen uns aber nicht erstarrt und entmutigt ausharren. Wir nehmen die Umstände an und gestalten unseren Weg gemeinsam. Frei nach unserem Gründer Baden-Powell machen wir das Beste aus dieser Zeit:

Ein alter Pfadfinder ist voller Findigkeit. Aus allen Schwierigkeiten oder Nöten findet er einen Weg.

Robert Stephenson Smyth Baden-Powell, 1. Baron Baden-PowelL